Meral Çiçek

Die 2. Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen fand vom 13. bis 18. März 2016 in der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu statt. Motto der Konferenz war »Frauen erklimmen die höchsten Berge«. Befindet sich der höchste Berg der Erde, der Everest, doch in Nepal. An der Konferenz nahmen insgesamt 1300 Frauen aus 48 Ländern teil. In 10 Workshops diskutierten 560 Teilnehmerinnen zentrale Themen der Frauenbewegung. Die zwei Tage dauernde Generalversammlung der Basisfrauen bildeten 74 Delegierte sowie 8 Koordinatorinnen aus 40 Ländern.

Auch die kurdische Frauenbefreiungsbewegung, welche Teil der Koordination des Mittleren Ostens für die Weltfrauenkonferenz ist, war mit einer Delegation in Kathmandu vertreten. Aus allen vier Teilen Kurdistans sowie aus Europa war eine 8-köpfige Delegation angereist. Darüber hinaus haben weitere in Europa lebende kurdische Frauen an der Konferenz teilgenommen. Insgesamt waren so über 15 kurdische Frauen anwesend.

Seit der 1. Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen in Caracas/Venezuela in 2011 organisiert und gestaltet die kurdische Frauenbefreiungsbewegung im Rahmen der Regionalkoordination Mittlerer Osten die Konferenz entscheidend mit. In diesem Sinne ist sie in Nepal nicht nur als Teilnehmerin, sondern auch als Mitveranstalterin präsent gewesen.

Die 2. Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen startete am ersten Tag mit einer Großdemonstration, an der etwa 2 000 Frauen teilgenommen haben. Im Anschluss fand die Eröffnungsveranstaltung mit politischen Reden und kulturellen Beiträgen statt. Zwei Tage lang wurden in Workshops verschiedene Themen, wie Frauenbewegung und Organisierung, Rolle der Frauen in Befreiungskämpfen, junge Frauen, Situation der Arbeiterinnen, Imperialismus, Kapitalismus und Frauenunterdrückung, sexualisierte Gewalt gegen Frauen in Kriegssituationen behandelt. Anschließend diskutierten Frauen aus 40 Ländern auf der Generalversammlung der Delegierten die Situation der Frauen weltweit und fassten wichtige Beschlüsse. Die 2. Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen endete an ihrem 6. Tag mit der Generalversammlung aller Teilnehmerinnen.

Dieser Artikel soll weniger Bericht der Konferenz sein, sondern sich vielmehr mit den Ergebnissen aus Sicht der kurdischen Frauenbefreiungsbewegung befassen. Interessierte können die Ergebnisse sowie die Abschlusserklärung der Konferenz auf www.conferenciamundialdemujeres.org nachlesen.

Am stärksten wurde auf der Konferenz deutlich, dass sich weltweit die Angriffe des patriarchalen kapitalistischen Systems auf Frauen gemehrt und intensiviert haben. Überall auf der Welt ist dieser Anstieg zu spüren. Wir haben es mit einem universellen Trend zu tun, wobei sich die Art und Weise der Angriffe von Region zu Region ändert. An mancherlei Ort sind die Angriffe sehr grob und direkt, an anderer Stelle eher verdeckt. Beispielsweise stellen die Feminizide durch Gruppen wie den IS im Mittleren Osten, vor allem in Rojava/Syrien und Südkurdistan/Irak, und Boko Haram in Nigeria die krasseste, brutalste und direkteste Form von Angriffen auf Frauen dar. Wir können gar von einem systematischen Krieg gegen Frauen sprechen. Die Delegierten aus Indien haben berichtet, dass in ihrer Heimat täglich fünf Frauen ermordet werden, allein im letzten Jahr 60 000 Frauen vergewaltigt worden sind, aufgrund von Arbeitslosigkeit Menschen massenweise in Städte flüchten, Prostitution stark angestiegen ist und auch in häuslicher Gewalt ein starker Anstieg zu verzeichnen ist. Frauen aus Deutschland und den Niederlanden haben darauf aufmerksam gemacht, dass die von Frauen erkämpften Rechte immer stärker beschnitten und Arbeiterinnen immer mehr in den Niedriglohnsektor mit unsicheren Arbeitsbedingungen gedrängt werden.

Es ist von großer Wichtigkeit, diese lokalen Beispiele auf universeller Ebene zu bewerten und die Verknüpfung zwischen lokalen Geschehnissen und universellen Trends herzustellen. Andernfalls ist es nicht möglich, die Situation der Weltfrauen ideologisch zu bewerten. Denn wenn wir uns nur auf das Geschehen im eigenen Land konzentrieren, neigen wir dazu, das Ganze nur aus politischer Sicht zu ergründen. Natürlich gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen der Situation der Frauen in einem Land und der dort verfolgten und umgesetzten Politik. Aber diese lokalen Politiken sind meist Erscheinungen eines universellen Trends mit ideologischem Hintergrund. Und mit Ideologie ist hier die Gedankenwelt des patriarchalen, kapitalistischen Weltsystems gemeint. Aus diesem Grund müssen Frauen, um ein umfassendes Verständnis ihrer eigenen Situation erlangen zu können, sowohl eine politische als auch eine ideologische Perspektive entwickeln.

In diesem Zusammenhang spielen internationale Zusammenkünfte von Frauen, wie beispielsweise die Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen, eine wichtige Rolle. Denn dort wird uns anhand der Erfahrungen und Berichte von Frauen aus ganz anderen Teilen der Erde möglich, unsere eher lokale Sicht der Dinge auf eine höhere Stufe zu stellen. Uns wird möglich, unser eigenes kleines Bildchen in ein viel größeres Bild einzufügen und somit unsere Lage viel umfassender zu analysieren. Dies ist notwendig, da wir mit einem universellen System konfrontiert sind. Auch wenn wir auf lokalen Ebenen gegen das patriarchale System ankämpfen, müssen wir es doch als Weltsystem erfassen und begreifen können, um effektiv sein zu können.

Kommen wir wieder zurück zu unserer Feststellung, dass das patriarchale System überall auf der Welt seine Angriffe auf Frauen gesteigert und intensiviert hat. Was bringt uns diese Feststellung? Auf einem der zehn Workshops der Weltfrauenkonferenz hat eine Vertreterin der Frauenverteidigungseinheiten YPJ aus Rojava eine Rede über den Kampf der Frauen gegen IS sowie die dortige Organisierungsform von Frauen gehalten. In der Rede ging es auch um Selbstverteidigung. Unter Selbstverteidigung wird meistens körperliche Verteidigung verstanden. In Rojava und in anderen Teilen Kurdistans verteidigen sich organisierte Frauen mit der Waffe gegen den IS und den türkischen und iranischen Staat. In Indien verteidigen sich die Frauen der Gulabi Gang mit Knüppeln gegen gewalttätige Männer.

Aber geht es bei Frauenselbstverteidigung wirklich nur um das Abwenden von physischen Angriffen? Und ist Selbstverteidigung nur passiv? Als Frauen befinden wir uns seit 5 000 Jahren im Krieg mit dem patriarchalen System. Kriegserklärer sind nicht wir, sondern das System, das auf Versklavung, Unterdrückung, Leugnung, Kolonialisierung und Ausbeutung der Frau basiert. Dieses System versucht seit 5 000 Jahren uns nicht nur unserer Freiheit, sondern auch unserer Träume und Hoffnungen zu berauben. Denn nur so kann Widerstand gebrochen werden. Heute sprechen wir nicht nur von einer Intensivierung der patriarchalen Angriffe auf unsere Körper, unser Leben und unsere Rechte. Auch unser Geist befindet sich unter ständigem Angriff. Gegen diese Angriffe müssen wir uns verteidigen. Wir müssen unser Leben, unseren Körper, unsere Rechte und unseren Geist gegen jegliche Angriffe, egal in welcher Form, verteidigen. Und nicht nur das, wir müssen zugleich auch unsere Träume, unsere Hoffnungen, unsere Wünsche, unsere Perspektiven, unsere Utopien verteidigen.

Und hierfür bedarf es aktiver Verteidigung. Es reicht nicht aus, uns auf passive Weise nur gegen Angriffe zu verteidigen. Wir müssen aktiv unsere Träume und Hoffnungen, unsere Ziele und Wünsche umsetzen. Wir müssen den Grund für die Realisierung dieser Träume legen. Wir müssen aktive Aufbauarbeit betreiben. Die Lösung heißt Aufbau und Verteidigung. Nur so können wir uns wirksam gegen die verschiedenen Angriffe durch das patriarchale System wehren.

Die kurdische Frauenbefreiungsbewegung hat in diesem Kontext die 2. Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen entscheidend geprägt. Sowohl ihre praktischen und ideologischen Erfahrungen und der erreichte Grad an Organisierung als auch ihre Perspektiven haben nicht nur großes Interesse geweckt, sondern wurden auch als Beispiel anerkannt. Die Vertreterinnen der kurdischen Frauenbewegung haben sowohl auf drei verschiedenen Workshops als auch auf der Generalversammlung immer wieder auf die Bedeutung der Frauenbefreiungsideologie für die Organisierung von Frauen aufmerksam gemacht. Dies wurde aufgefangen und es wurde beschlossen, in der Zeit zwischen zwei Weltfrauenkonferenzen (wahrscheinlich bis 2018) ein internationales Seminar zum Thema Frauenbefreiungsideologie zu veranstalten. Dieser Beschluss ist von großer Bedeutung, da an vielen Orten aus praktischer Sicht viel gekämpft wird, diese praktischen Kämpfe jedoch kaum theoretisiert und ideologisch bewertet werden.
In der Abschlussresolution von Kathmandu wurde erklärt, dass die gemeinsame Unterstützung des Kampfes in Rojava von besonderer Bedeutung ist, »weil das nicht nur ein Kampf gegen die Ausbeutung und Unterdrückung von Frauen, sondern ein Brennpunkt des weltweiten Kampfes für Freiheit und Demokratie und für die Verwirklichung der Befreiung der Frau war. (…) Rojava/Kurdistan ist ein leuchtendes Beispiel dafür, was kämpferische Frauen erreichen können, und ist ein Vorbild für den Kampf gegen patriarchale Strukturen«. Die Vertreterinnen der kurdischen Frauenbewegung haben in Nepal versucht, auch dort diese Rolle zu spielen und die Gewinne und Erfahrungen der kurdischen Frauen den Weltfrauen näherzubringen. Beispielsweise das Paritätsprinzip sowie gleiche Partizipation von Frauen in allen politischen Ämtern und Rängen sind auf immenses Interesse gestoßen. Immer wieder wurde gefragt, wie es der kurdischen Frauenbewegung möglich gewesen ist, 50 : 50 politische Teilnahme zu erreichen. Letztendlich sind alle Gewinne der Frauenbewegung Ergebnis eines internen Kampfs. Aus diesem Grund ist es von großer Bedeutung, die Etappen dieses Kampfes sowohl aus praktischer als auch aus ideologischer Sicht näherzubringen und verständlich zu machen.

Plattformen wie die Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen sind für die kurdische Frauenbewegung mittlerweile zu einem Ort einer stärkeren Universalisierung geworden. Indem die kurdische Frauenbewegung ihre Gewinne, Erfahrungen und Ziele mit den Frauen der Welt teilt und diese von ihrem Kampf profitieren lässt, stärkt sich der universale Charakter nicht nur der Frauenbefreiungsideologie, sondern der Bewegung selbst. In diesem Zusammenhang hat die kurdische Frauenbefreiungsbewegung vor allem in den letzten Jahren, besonders zusammen mit dem von Frauen geführten Widerstand gegen IS und dem Aufbau eigener demokratischer Strukturen, eine neue Stufe erreicht. Zwar kämpft sie weiterhin in Kurdistan und baut dort alternative Strukturen auf. Aber der Zusammenhang zwischen ihrem Kampf auf der lokalen Ebene und dem Universalcharakter ihrer Ideologie ist sehr viel stärker geworden. Immer mehr ziehen die Berge Kurdistans Vertreterinnen verschiedener Frauenbewegungen an. Viele möchten von den Erfahrungen der kurdischen Frauen lernen oder sich ausbilden lassen in Frauenbefreiungsideologie. Von Seiten vieler Frauenorganisationen wird der kurdischen Frauenbewegung in diesem Zusammenhang eine Vorreiterrolle beigemessen. Ohne Zweifel ist auch die kurdische Frauenbefreiungsbewegung mit verschiedenen internen und externen Schwierigkeiten konfrontiert. Sie ist nicht perfekt. Aber wenn wir uns die Situation der Weltfrauen vor Augen halten, können wir doch behaupten, dass die kurdische Frauenbefreiungsbewegung in ideologischer, organisatorischer, politischer und sozialer Hinsicht eine der stärksten, wenn nicht sogar die stärkste Frauenbewegung heute darstellt. Die kurdische Frauenbewegung rühmt sich dessen nicht, sondern konzentriert sich auf die Verantwortung, welche diese Position mit sich bringt – für sich und die Weltfrauen.

 

Meral Çiçek, Vorsitzende des REPAK – Kurdisches Frauenzentrum für internationale Beziehungen, mit Sitz in Hewlêr (Arbil). Von 2004 bis 2013 war sie als Journalistin für die kurdische Tageszeitung Yeni Özgür Politika tätig.

 

Die kurdische Frauenbewegung auf der 2. Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen in Nepal: Viele möchten von den Erfahrungen der kurdischen Frauen lernen …