Ulrike Held vom Bundesvorstand des Frauenverbands Courage als Traumatherapeutin im Irak:
„Wir wollen zurück in unsere Heimat, die Shengal-Berge“
so die jezidischen Frauen im Arbat-Flüchtlingscamp bei Sulaymaniyah.
Im August dieses Jahres besuchten ich mit zwei anderen Kunst- und Traumatherapeutinnen und einer kurdischen Übersetzerin das Arbat-Camp bei Sulaymaniyah, einer Stadt im kurdisch-autonomen Gebiet des Nordirak. Dort regiert die PUK (Patriotische Union Kurdistan), im anderen kurdischen Teil die KDP (Kurdische Demokratische Partei) unter Barzani. Die Reise war organisiert von Ceni, dem kurdischen Frauenfriedensbüro in Europa zusammen mit der kurdischen Frauenbewegung in Südkurdistan/Nordirak. Meine Teilnahme wurde vom Bundesvorstand des Frauenverbands Courage aktiv unterstützt.
Ziel der Reise war zum einen, in Deutschland öffentlich zu machen, was die Jezidinnen beim Massaker des IS im August 2014 erlebt hatten und wie sie jetzt leben. Zum anderen eine erste Hilfe zur Selbsthilfe gegen zum Teil schwere Traumatisierungen sowie die Weltfrauenkonferenz bekannt machen. Praktische Aufgabe ist, dort ein Traumahilfezentrum aufzubauen.
„Es ist schlimmer, im Krieg eine Frau zu sein als ein Soldat“, so ein kongolesischer Offizier vor ein paar Jahren. Das gilt bis heute, ob in Syrien, im Irak, im Kongo, in Nigeria. Daher ist der Zusammenschluss der Frauen im Weltfrauenprozess so wichtig. Die 2. Weltfrauenkonferenz wird im März 2016 in Nepal stattfinden.
Ursprünglich wollten wir in ein Camp in den Sengalbergen in Rojava reisen, aber die Regierung Barzani hat kurz vor unserer Reise die Grenze dicht gemacht, auch für humanitäre Hilfe. Ursache ist der von der Erdogan-Regierung beendete Friedensprozess mit der PKK, wo sich Barzani auf die Seite der Türkei gestellt hat.
Im Arbat-Flüchtlingscamp leben 2000 Jeziden, hauptsächlich Frauen und Kinder, sowie 5000 Araber. Kurz bevor wir ankamen, wurden IS-Mörder enttarnt und verhaftet, die sich unter den arabischen Flüchtlingen versteckt hatten. Die Jezidinnen fühlen sich nicht sicher, sie haben Angst, dass sich im anderen Campteil weitere IS-Schlächter befinden. Manche IS-Schergen bringen auch ihre Familien in solchen Camps unter, während sie mordend und vergewaltigend durchs Land ziehen.
Die Situation in dem Camp ist unhaltbar: totale Enge, die Zelte sind z.T. kaputt, es herrschen sengende Hitze, Dreck, Wassermangel, schreckliche hygienische Verhältnisse, der Strom wird mittags abgestellt, so dass die Klimaanlagen ausfallen. Es fehlt an allem, Kleidung, Essen, Wasser, Medikamente und es herrscht bedrückende Beschäftigungslosigkeit.
Dennoch: die Frauen sind stark und mutig. Offen erzählen sie uns ihre schrecklichen Erlebnisse mit dem IS, ihre Sehnsucht nach der Heimat und ihre derzeitigen Probleme. Die Weltfrauenkonferenz stößt auf großes Interesse, die Frauen wollen eine Stimme in der Welt bekommen, bei den Frauen der Welt bekannt machen, was sie erfahren haben.
Unser Projekt, traumatherapeutisch zu arbeiten und zu lehren, nahmen sie gerne an. Vormittags machten wir Therapie, nachmittags unterrichteten wir traumatherapeutische Grundlagen und organisierten kunsttherapeutische Übungen. Die Therapien fanden, anders als bei uns, inmitten von anderen Frauen statt, die sich rege beteiligten, die Betroffene unterstützten, ihnen Mut machten und die Übungen aufgriffen. Mitunter waren die grausamen Geschichten Einzelnen zu viel und sie fingen an zu weinen. Aber sie trösteten sich gegenseitig und nahmen Übungen zur Selbstberuhigung gerne an. Diese gemeinsame Arbeit, das gemeinsame Bewegen, Malen und Singen schaffte tiefes Vertrauen und täglich kamen mehr Frauen. Sie beschlossen, diese Treffen auch ohne uns so weiter zu führen. Alleine rumsitzen, sich entwertet fühlen bis hin zum Suizid, das ist das Ziel des IS. Dessen Ideologie ist es, Frauen und besonders Jezidinnen seien nichts wert, dürften misshandelt, verkauft und vergewaltigt werden.
Die Frauen im Camp wollen stark werden und die Heimat zurückerobern. Viele sagten uns, dass sie wieder zu ihrer Stärke und vor allem zur Gemeinschaft zurück gefunden haben. Jeden Tag wollten sie eine neue Frau ansprechen und einbeziehen. Unsere Arbeit sprach sich auch in anderen Lagern herum, wir hätten noch mehrere Wochen dort bleiben können, um allen Wünsche nach Hilfe nachzukommen.
„Ich will zurück nach Shengal“ hörten wir immer wieder. Die Stadt Shengal ist immer noch umkämpft und die KDP Barzanis lässt niemanden über die Grenze in die Shengalberge in Syrien.
Wir erfuhren mehr über das Massaker von 2014. Kurz davor hatte es schon Gerüchte gegeben, dass der IS zuschlagen wolle. Shengal liegt im Gebiet von Barzani, dessen Peshmerga-Truppen auch von der deutschen Regierung mit Waffen und Geld unterstützt wurden. Wir erfuhren, dass Spenden für die Flüchtlinge nie ankamen. In unserer Presse wird unterschieden zwischen „bösen“ PKK-Kurden und „guten“ Peshmergas.
Die Frauen, die das Massaker erlebt haben, schildern das ganz anders. Die Peshmerga-Soldaten hinderten die Menschen zu fliehen. „Wir beschützen euch“ versprachen sie. Als der IS dann in die Stadt Shengal kam, entwaffneten die Peshmerga-Soldaten die jezidischen Polizisten, z.T. haben sie sie einfach erschossen, so eine betroffene Mutter. Und dann flohen sie, überließen die Menschen den bestialischen IS-Kämpfern.
Männer wurden sofort ermordet, meistens geköpft, egal, ob sie sich zum Islam bekannten oder nicht. Frauen und Kinder mussten zuschauen. Besonders junge Frauen und Kinder wurden entführt und erlebten den grausamen Terror durch den IS: sie wurden vergewaltigt, verkauft, misshandelt. Viele Menschen flohen in die Berge, ohne Wasser, ohne Proviant. Die Berge sind trocken, heiß, zerklüftet, rau. Besonders kleine Kinder und ältere Menschen starben in den Bergen. Auf dieser Flucht sind die meisten JezidInnen über die Berge nach Nordkurdistan oder Richtung Südkurdistan geflüchtet. Frauen berichten, dass sie jetzt überall anzutreffen sind, wie ein Glas, das auf den Boden fällt und dessen Splitter in alle Richtungen bersten. Bis heute suchen viele ihre Angehörigen.
Alle Frauen beschrieben uns die Rettung durch die YPG und YPJ, die Volksverteidigungseinheiten der PKK, die einzigen, die einen Korridor in den Shengalbergen für sie frei kämpften, die ihnen Wasser und Nahrung brachten, auf die sie sich verlassen können. Unbegreiflich ist ihnen die Bombardierung der PKK Stellungen durch die Türkei in den Kandilbergen im Nordirak. „Sie fallen den einzigen in den Rücken, die den IS wirksam bekämpfen“. Die Frauenbataillone sind für sie ein großes Vorbild, ca. 200 Jezidinnen haben inzwischen ein eigenes Bataillon gebildet. Wenn der Kampfschrei der Frauen durch die Berge hallt, dann fürchten sich die IS Männer. Sie glauben, wenn sie von einer Frau getötet werden, kämen sie nicht ins Paradies.
Der IS ist keine religiöse Sekte – das würde sie total verharmlosen, die Religion wird als Unterdrückungs- und Machtinstrument missbraucht. Sie sind faschistische Mörderbanden, entstanden aus der von den USA aufgebauten Al Kaida, mit ehemaligen Militärstrategen Saddam Husseins, finanziert vor allem von reichen Ölmagnaten aus Saudi Arabien und Katar.
Nicht alle von uns können in die Krisengebiete reisen, aber alle können hier die in Deutschland entstandene Willkommenskultur unterstützen und weiterentwickeln. Wir alle können uns hier für eine menschenwürdige Unterbringung einsetzen. Geflüchtete brauchen Bedingungen, unter denen sie ihre Kultur leben, aber uns auch kennen lernen können. Vorrangig ist, dass sie wieder gesund werden. Sie alle haben Erlebnisse, die schwer zu verarbeiten sind. Die Jezidinnen, die wir trafen, orientieren sich am Kampf um Demokratie in Rojava, wo auch die Frauenrechte und die Wahrung der Natur im Wiederaufbau zentraler Bestandteil des Neuen sind.
Was wir in Deutschland von der Regierung fordern ist eine andere Flüchtlingspolitik – das kann jeder unterstützen!
Wir Traumatherapeutinnen wollen das Projekt weiter führen, eine weitere Reise planen, gezielt Frauen als Multiplikatorinnen ausbilden als Grundlage für ein Traumahilfezentrum.
Das Thema Frauen auf der Flucht ist weltweit bedeutsam und wird im nächsten Jahr auf der 2. Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen in Nepal eines der zentralen Themen sein.
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