Monika Gärtner-Engel, 17.12.15
Europakoordinatorin
der Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen
Liebe Frauen,
Es gehen aus vielen Ländern empörte Proteste gegen den indirekten Boykott durch Indien und Solidaritätsgrüße an unsere Freundinnen in Nepal ein. Das ist super und wir gehen davon aus, dass die indische Regierung das nicht mehr lange durchhalten kann.
Viele fragen und wünschen sich mehr Informationen.
Information zu den Hintergründen und dem Kampf gegen die Blockade
durch Indien gegenüber Nepal
Sieben Jahre nach dem Sturz der mehr als 200 Jahre währenden Monarchie hat Nepal seit dem 20. September 2015 eine Verfassung, die die demokratischen Errungenschaften in Form einer bürgerlichen Republik konstituiert. Bidya Devi Bhandari ist die erste Frau, die in Nepal zur Präsidentin gewählt wurde. Sie wurde am 28. Oktober, mit 327 zu 214 Stimmen gewählt. Sie gehört der CPN/UML (Kommunistische Partei Nepals Vereinigte Marxisten/Leninisten) an. Dies und viele Frauenrechte sind ein Ergebnis der neuen Verfassung, die in Nepal am 20. September öffentlich verkündet wurde. Diese sieht vor, dass entweder der Präsident oder der Vizepräsident eine Frau sein muss. In Nepal haben die Frauen eine aktive, Rolle im Kampf um den Sturz der reaktionären Monarchie 2006 gespielt und im Kampf um eine demokratische, nicht religiös gebundene Verfassung.
Zwei Frauen aus dem Kreis der acht Frauen-Organisationen, der United Women’s Alliance (UWA), die die Weltfrauenkonferenz vorbereiten, waren auch in der verfassungsgebenden Versammlung. Andere Organisationen bekämpfen diese Verfassung, mit der Begründung, dass es nur eine bürgerlich-demokratische Verfassung, bzw. gegenüber der Übergangsverfassung ein Rückschritt sei. Das war eine schwere Bewährungsprobe für die Frauen der UWA, die sie aber entgegen Zerwürfnissen ihrer Parteien gemeinsam gemeistert haben. In einer Stellungnahme an das 5. Welt-Koordinatorinnentreffen habe sie selbstbewusst ihre Einheit und ihre Widersprüche zur Verfassung benannt, ohne ihre Einheit im Kampf um die Befreiung der Frau dadurch in Frage zu stellen.
Die offene Einflussnahme Indiens gegen die verabschiedete Verfassung richtet sich gegen die Säkularisierung (Trennung Kirche und Staat) Nepals, deren Bevölkerung zu 80 Prozent Hindus sind. Hauptstreitpunkt ist aber der Föderalismus und die Grenzziehung der einzelnen Republiken, vor allem der an der Grenze zu Indien gelegenen. Hintergrund sind die expansionistischen Bestrebungen Indiens. Am Tag der Verabschiedung verhängte die reaktionäre indische Modi-Regierung eine unausgesprochene rigorose Versorgungs-Blockade gegen das Binnenland Nepal, beidersie sich auf rückschrittliche Vertreter der Madehis (eine in Nepal lebende Volksgruppe) stützt, die sich an der Blockade beteiligen. Tankfahrzeuge kommen wohl nach Indien rein, werden dort aber nicht mit Öl und Gas befüllt. Die offizielle Erklärung Indiens ist, dass die Tankfahrzeuge wegen der gewaltsamen Proteste in der südnepalesischen Region Terrai nicht fahren wollten. Das ist auch die „Begründung“ des Auswärtigen Amts in Deutschland eine eingeschränkte Reisewarnung auszugeben – sehr bezeichnend!
In der Zwischenzeit sind die Auswirkungen auf das Leben und die Bevölkerung enorm. Es fährt fast kein Taxi mehr und nur noch ganz wenige Busse. Gas zum Kochen geht aus, Trinkwasserabfüllfirmen konnten zum Teil nur noch 50 Prozent der Mengen abfüllen. „Leute fahren auf den Dächern der Busse, den Minibussen. Es gibt nur sehr wenige Taxen, die sehr teuer sind. Die Schulzeiten der Kinder sind auch eingeschränkt. Morgen wird es eine Demonstration von Schülern, Studenten und Lehrern geben, einen 27 km lange Menschenkette. Sie wollen friedlich gegen die indische Blockade protestieren. Ja, es ist schwierig, da wir in den höheren Regionen im Winter auch Schnee und Eis haben, welches den Transport von Treibstoff noch weiter erschwert.“ (Bericht von Man Bahadur am 26.11.15) „Schwierige Geburten von Frauen in ländlichen Regionen führen zum Tod, weil kein Treibstoff da ist, um die Frauen schnell in das Krankenhaus zu bringen.“ (Bericht eines Freundes der dort war, 03.12.15)
Diese Blockade ist eine Form staatlicher Gewalt gegen die Frauen Nepals, sie tragen die Hauptlast. Sie ist auch ein Angriff auf alle Frauen, die weltweit die 2. Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen für den Zeitraum vom 13. bis 18. März 2016 in Kathmandu vorbereiten. Deshalb gehörte dieses Thema auch auf die diesjährigen Aktionen der Weltfrauen zum Tag gegen Gewalt an Frauen.
Die indische Regierung steht auch im eigenen Land unter Druck, da ihre Angriffe auf Arbeiter- und Frauenrechte den Widerstand herausfordern und dieses Jahr schon zu zwei riesigen Generalstreiks führten. Der letzte, am 3. September, mit 150 Millionen Beteiligten war der weltweit größte Streik, den es je gab. Es bestehen gute Aussichten, dass der Boykott gebrochen wird. Das ist sehr bedeutend, denn solche Boykotte kann und wird sich die kämpferische Frauenbewegung nicht gefallen lassen!
Proteste und Solidarität:
- Tausende Schülerinnen und Schüler haben am 4.12.2015 in Nepal gegen diese Grenzblockade und die damit verbundene Benzin- und Kochgas-Knappheit demonstriert. Sie bildeten Menschenketten rund um die Hauptstadt Kathmandu. Dabei hielten sie Schilder mit dem Slogan „Gewährleistet Kinderrechte“ hoch. Wegen der Benzinknappheit können viele Kinder seit zwei Monaten nicht zur Schule gehen.
- Wir kennen Protestschreiben an die indische Botschaft in Nepal aus Griechenland, Marokko, Togo, Philippinen, Niederlande, Deutschland. „Die Frauen von Marokko, drängen darauf, sich nicht geschlagen zu geben und den Widerstand fortzusetzen … und ihre Konferenz zur gewählten Zeit und dem gewählten Ort zu organisieren!“
- Die Nationale Frauenversammlung in Deutschland schrieb: „Die indische Regierung hat mit dieser Blockade genau an dem Tag begonnen, als Nepal seine neue demokratische und säkulare Verfassung proklamiert hat. Die Souveränität von Nepal wird mit Füßen getreten. Wir Frauen fordern: Öffnen Sie sofort die Grenzen und beenden den Wirtschaftsboykott gegenüber Nepal!”
- Am 11. Dezember fand in Berlin eine kämpferische Weltfrauen-Protest-Aktion vor der Indischen Botschaft statt.
- In Stuttgart und Essen/Deutschland wurden Protestschreiben am 25.11. verabschiedet: „Wir, die Aktivistinnen der Straßenaktion zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen in Essen/Deutschland senden Euch herzliche, solidarische und schwesterliche Grüße! Wir wünschen Euch Mut und Kraft für die wichtigen Entscheidungen im Weltfrauenprozess. Wir protestieren mit Euch und überall gegen den menschenverachtenden Wirtschaftsboykott durch die indische Regierung. Wir sind an Eurer Seite! Frauen gehen über Grenzen, Frauen verbinden Welten, kämpfen international!“ (Essen)
- Gegen den „indischen Expansionismus“ haben über 100 führende Vertreter linker, demokratischer und revolutionärer Parteien bzw. Massenorganisationen sowie fortschrittliche Kulturschaffende eine gemeinsame Protesterklärung verfasst. Sie fordern den Stopp der Einmischung Indiens: „Es ist das Recht des souveränen nepalesischen Volkes, seine Regierung zu wählen, zu entscheiden, welches Regierungssystem es haben will, seine eigene Verfassung auszuarbeiten.“
Als Europakoordinatorin schrieb ich am 8.12.15 an unsere nepalesischen Freundinnen: „… . Meiner Meinung nach könnte und sollte die Konferenz auch unter schwierigen Umständen stattfinden – denn das sind die Umstände der Masse der Frauen in der Welt! Die Imperialisten organisieren häufiger Blockaden von ganzen Ländern oder Regionen, um die Massen zu unterdrücken und um die fortschrittlichen Bewegungen zu erwürgen/strangulieren. Sollen wir uns dem beugen? Nein! Vielleicht können wir die Generalversammlung auf die Delegierten konzentrieren und das Massenprogramm verkürzen. (…) Ihr entscheidet, aber wir sind bereit, alles mit Euch durchzukämpfen!“
Der Protest richtet sich an:
Protestbriefe an die Botschaft Indiens in Deutschland, S.E. Herr Vijay Keshav Gokhale, dcm@indianembassy.de; To the Indian Embassy in Nepal, Ambassador Janjit Rae,
Links zur Presse (kleine Auswahl):
http://www.sueddeutsche.de/politik/nepal-fast-wie-ein-erdbeben-1.2750333
http://www.blick.ch/news/ausland/nepal-tausende-schueler-in-nepal-demonstrieren-fuer-recht-auf-bildung-id4401245.html
siehe auch Frankfurter Rundschau vom 24.11.2015 (Papierausgabe)
Download:
151217 Monika G-E Informationen zu Boykott Nepals durch Indien