> Betreff: Massaker von Paris: Indizien deuten auf Beteiligung der Türkei
> Mehr als elf Monate nach den Morden an den kurdischen Aktivistinnen Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez in Paris, erklärt Antoine Comte, dass die Untersuchungen vorankommen. Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Firat (ANF) erklärt der Anwalt der Angehörigen der drei ermordeten Frauen, dass viele Indizien auf die Beteiligung des türkischen Staates beim Massaker vom 9. Januar hindeuten. Im Folgenden geben wir die Übersetzung des Interviews wieder:
> Hinsichtlich des Massakers an den drei kurdischen Frauen vom 9. Januar 2013 in Paris gibt es noch viele unbeantwortete Fragen. Wie verlaufen die Untersuchungen? Gibt es Fortschritte?
> Ja, die gibt es. Aber Sie müssen wissen, dass nach französischem Recht der Anwalt in der Phase der Untersuchungen einer Schweigepflicht unterliegt. Alle an den Untersuchungen beteiligten Anwälte unterliegen also der Schweigepflicht. Was ich Ihnen allerdings sagen darf, ist, dass die Untersuchungen Fortschritte machen und dass vieles auf eine Verantwortung der Türkei bei den Morden hindeutet. Das ist wichtig.
> Haben die Verantwortlichen den politischen Charakter der Morde anerkannt?
> Wie gesagt, die Untersuchungen deuten auf die Türkei und ich denke, dass dadurch auch der politische Charakter der Morde zum Vorschein kommen wird. Zunächst hieß es, dass das Motiv für die Morde Eifersucht sei. Nun traut sich niemand mehr diese Behauptung zu verteidigen. Später hieß es, es handele sich um eine interne Abrechnung der PKK. Auch diese Behauptung ist nun unhaltbar. Aus den Telefongesprächen und den technischen Informationen des Mörders sind seine Beziehungen zur Türkei offensichtlich geworden. Es gibt viele Hinweise, die auf eine Verantwortung der Türkei hindeuten. Ich weiß nicht, ob seine Beziehung zum türkischen Staat in Verbindung und seine Nähe zu rechtsradikalen Kreisen in der Türkei in Verbindung stehen. Aber auch mit letzteren stand er in enger Beziehung. Und auch heute trägt der Mörder einen Ring mit den drei Halbmonden.
> Mit dem Fall setzen sich derzeit zwei Polizeieinheiten, mit unterschiedlichen Arbeitsweisen auseinander. Die einen konzentrieren sich auf die kriminologische Untersuchung, während die anderen auf die Untersuchung der Archive über die Kurden fokussiert sind. Aber ich kann behaupten, dass die Leute, die sich mit dem Fall beschäftigen, die Eifersuchtsthese als Tatmotiv fallengelassen haben.
> Kann man sagen, dass die Untersuchungen sich in Richtung Türkei verlagert haben?
> Ja. Von nun an geht es auch darum, ob die Türkei bei den Untersuchungen behilflich sein wird. Es stellt sich natürlich die Frage, wie man die Türkei dazu bringen kann, sich in die Untersuchungen einzubringen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass ein Staat Informationen über seine möglichen Agenten im Ausland preisgibt. Das können wir also nicht erwarten. Ich denke, dass die Untersuchungen insgesamt europäisiert werden müssen, um so mehr Druck auf die Türkei auszuüben.
> Warum soll der Fall auch andere europäische Staaten interessieren?
> Die Morde fanden im Schengen Raum statt. Eine der Ermordeten hatte ein Bleiberecht in Deutschland. Fidan ist als junges Mädchen nach Frankreich gekommen und ein Teil ihrer Familie verfügt über die französische Staatsangehörigkeit. Der Fall interessiert nicht nur Frankreich, sondern ganz Europa. Es ist wichtig, dass Europa sich die Untersuchungen zu eigen macht und Antworten von den türkischen Behörden verlangt.
> Sie hatten an die französischen Geheimdienste die Anfrage gestellt, ob der Tatverdächtige Ömer Güney beobachtet wurde. Allerdings wurde ihre Anfrage abgewiesen, weil das vermeintlich nichts mit dem Fall zu tun habe. Wird diese Frage unbeantwortet bleiben?
> Es tut sich was in der Sache und ich denke, das wird sich auch weiterentwickeln. Natürlich wollte ich herausfinden, ob es Informationen über Ömer Güney gibt. Der französische Geheimdienst hat die Aufgabe herauszufinden, ob ausländische Agenten auf französischen Boden arbeiten und wer sie sind. Wie Sie sagten, am Anfang hieß es, dass dies nichts mit dem Fall zu tun habe. Deshalb erhielt ich keine Antwort. Ich reichte hiergegen Klage beim Gericht ein. Vor dem Pariser Oberlandesgericht werden wir diese Frage erneut stellen. Wir verfügen über neue Informationen und deshalb wird es vielleicht leichter werden, eine Antwort auf diese Frage zu erhalten.
> Um was für neue Informationen handelt es sich?
> Wie gesagt, die neuen Informationen deuten auf die Türkei hin. Aber mehr kann ich derzeit dazu nicht sagen.
> Am 23. September wurde im Haus der Staatsanwältin für Antiterror-Angelegenheiten Jeanne Duyé eingebrochen. Es hieß, dass dieser Einbruch bei Duyé, die ja auch für den Fall der Morde vom 9. Januar verantwortlich ist, auch mit den Untersuchungen in Verbindung steht. Können Sie dazu etwas sagen?
> Dazu kann ich nichts sagen. Es hieß, dass es einen Einbruch gab. Um ehrlich zu sein, erweckt der Einbruch bei einem Staatsanwalt immer den Verdacht einer Intrige. Aber ich kann nicht sagen, ob dies mit dem Fall etwas zu tun hat. Hierzu müssen die Polizei oder der Staatsanwalt etwas sagen.
> Stimmt es, dass in Deutschland und den Niederlanden auch Untersuchungen zu dem Fall stattfinden?
> Ja. In den Niederlanden gibt es Untersuchungen. Und auch in Deutschland, wo Ömer Güney ein Teil seiner Jugend verbracht hat.
> Haben diese Untersuchungen bereits zu neuen Erkenntnissen geführt?
> Vieles ist bekannt geworden, aber aufgrund meiner Schweigepflicht kann ich dazu nichts sagen.
> Wie lange wird die Schweigeflicht in dem Fall nach aufrechterhalten werden?
> Solange die Untersuchungen anhalten.
> Was glauben Sie, wann die Untersuchungen beendet werden?
> Ich denke, das wird noch etwa ein Jahr dauern.
> Gibt es Informationen über eine zweite Person, die an der Tat beteiligt sein könnte?
> Um ehrlich zu sein, gibt es derzeit keinerlei Hinweise darauf, dass eine weitere Person an dem Mord beteiligt sein könnte.
> Am Anfang der Untersuchungen erklärte der Staatsanwalt, dass auf der Patronenhülse die DANN-Spur einer weiteren Person außer Ömer Güney ermittelt wurde. Was kann man daraus deuten?
> Es gibt eine genetische Spur auf einer Patronenhülse. Aber allein eine DANN-Spur sagt noch nicht viel aus. Wenn sie eine Person berühren, kann man an der Person auch ihre DNA-Spur wiederfinden. Wir sollten deshalb etwas vorsichtig damit umgehen.
> Eine weitere DANN-Spur zu identifizieren, heißt noch lange nicht, dass einen weitere Person an der Tat beteiligt ist. Es kann sich um eine Waffe handeln, die von Hand zu Hand gegangen ist. Aber bislang wurde noch nicht einmal die Waffe aufgefunden. Die DNA-Spur war allein auf der Patronenhülse zu finden. Aus meiner Sicht sagt das noch nicht viel aus.
> Bisher hat Ömer Güney keinerlei Geständnis abgelegt, oder?
> Er ist professionell. Ich gehe deshalb davon aus, dass er keinerlei Geständnisse ablegen wird.
> ANF, 15.12.2013, ISKU
Anlage: Ceni Info Nr. 29: Ceni-Info-29