Quelle/Link: http://kerstin-celina.de/
Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Bürgerinnen und Bürger,
„Frauen erklimmen die höchsten Berge“ war das Motto der Weltfrauenkonferenz in Kathmandu, der Hauptstadt von Nepal. Ist das wirklich der geeignete Ort für diese Veranstaltung, habe ich mich im Vorfeld der Reise oft gefragt. In unmittelbarer Reichweite des Mount Everest, auf dem Dach der Welt? In einem Land, das das zweitärmste Land Asiens ist, eines der zehn ärmsten Länder der Welt? In dem fast 80% der Frauen Analphabetinnen sind? Eingeklemmt zwischen den mächtigen Nachbarn China und Japan? Das unter Handelsblockaden durch Indien leidet, und indem ein Erdbeben vor knapp einem Jahr viel Verwüstung angerichtet hat, Schäden, die noch lange nicht beseitigt sind?
Ja, es war genau der richtige Ort für die zweite Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen, genau der richtige Ort, um die große Solidarität zwischen Frauen aus mindestens 34 verschiedenen Ländern zu spüren, um die Weltoffenheit und das Engagement von Frauen auf der ganzen Welt zu erleben, um zu vergleichen, welche Probleme und Themen sich ähneln, und mit welchen Problemen Frauen anderswo kämpfen, die bei uns zum Glück überwunden sind. Die mir aber aus Erzählungen meiner eigenen Großmutter bekannt sind. Wie geht es denn einer jungen Frau, die mit Anfang 30 Witwe wurde, wie kann sie ihre Kinder alleine durchbringen, und wie erlangt sie wieder Anerkennung als Frau in der Gesellschaft? Da sind die Probleme der Frauen, die ihren Mann in dem lang anhaltenden Bürgerkrieg in Nepal verloren haben, nicht weit weg von dem, was viele Kriegswitwen hier erlebt haben. Und es war genau die richtige Veranstaltung für meine derzeitige Praktikantin Chiara Kaiser, die ich kurzerhand eingeladen habe, mitzukommen zur Konferenz und all den Terminen im Umfeld mit Frauenorganisationen.
Gelebte Solidarität
Das, was mich am meisten beeindruckt hat, war, dass gerade die Frauen, die es „geschafft“ haben, die studiert haben, belesen sind, eine Arbeit haben, sich mit voller Kraft für die einsetzen, die bisher nur eine geringe Schulbildung bekommen konnten, die unter gesellschaftlichen Restriktionen leiden, die nicht mal wissen, welche Rechte ihnen zustehen. Und wenn ich sage „mit voller Kraft“, dann meine ich es auch so. Da wird nicht nur untereinander diskutiert, sondern Frauen schließen sich zu Organisationen zusammen, die vor Ort auf Frauen zugehen, die Hilfe brauchen, es werden gezielt flächendeckend Niederlassungen zumindest in den Regionen Nepals gebildet, überstaatliche im südasiatischen Raum Kontakte geknüpft und es wird, wenn nötig, vor Gericht geklagt. So haben die Frauen der Organisation „Women for Human Rights“ http://whr.org.np/ vor Gericht durchgesetzt, dass eine alleinstehende Frau, egal ob verwitwet, nicht verheiratet, geschieden oder mit einem vermissten Ehemann einen Pass beantragen kann – bisher war das nicht möglich. Auch immer noch geltende Verhaltensregeln werden vor Ort angegangen: Frauen sollen auch nach dem Tod des Ehemanns wieder farbenprächtige Kleidung tragen dürfen. Eine Kleinigkeit? Nein, denn eine Witwe mit weißer Trauerkleidung „bringt Unglück“ und wird zu keinem Fest mehr eingeladen, und ist gesellschaftlich für den Rest ihres Lebens isoliert.
Was Bildung mit getrennten Schultoiletten zu tun hat
Wir denken beim Thema Bildung meist an kleine Klassen, an Ausstattung mit Lehrern, sowohl hier bei uns als auch in Ländern, in denen Bildung noch nicht selbstverständlich ist. Aber kleine Klassen helfen den Mädchen nicht, wenn sie nach wenigen Jahren gar nicht mehr in die Schule gehen, weil sie entgegen der gesetzlichen Bestimmungen, mit 12 Jahren verheiratet werden, ab da den Haushalt ihres Mannes und dessen Familie führen, und gar nicht mehr in der Nähe ihrer Schule wohnen. Da hilft nur: An Türen klopfen und Familien aufklären. Oft endet der Schulbesuch von Mädchen aber auch, weil sie sich mit Eintreten ihrer Menstruation schämen, insbesondere, wenn es keine getrennten Toiletten für Jungs und Mädchen gibt. Der Bau getrennter Toiletten und die Bereitstellung von Hygieneartikeln in Schulen ist ein Projekt, für das sich UNICEF in Nepal vor Ort einsetzt, um den Schulbesuch für junge Mädchen in der Pubertät zu erleichtern. http://www.unicef.org/infobycountry/nepal.html.
Die jungen Ehefrauen in Nepal leben übrigens ganz anders als bei uns. Meist ziehen sie nach der Hochzeit in das Elternhaus ihres Ehemannes du versorgen dort den Haushalt, oft ganz ohne ihren Ehemann, da viele Nepalis in den Golfstaaten arbeiten, weil es in Nepal kaum Jobs gibt. Manchmal arbeiten auch die Eltern des Ehemannes im Ausland, die Frau irgendwo in einem Haushalt und der Mann auf irgendeiner Baustelle in den Golfstaaten. Dann versorgt die minderjährige Ehefrau die Großeltern ihres Ehemannes, einen Weg zurück in die Schule oder zu ihrer eigenen Familie gibt es nicht. Meist werden die früh verheirateten Mädchen schon mit 15 oder 16 das erste Mal Mutter, mit Anfang 20 haben sie dann drei Kinder und keine Chance mehr, eine andere Arbeit aufzunehmen. Und wenn dieses Muster nicht durchbrochen werden kann, wird es ihren Kindern genauso gehen.
Kinder aus dem Gefängnis
In Nepal werden der Handel mit Drogen, aber auch der Menschenhandel und andere Straftaten zum Teil mit sehr langen Haftstrafen belegt. Leidtragende sind auch die Kinder der Gefangenen, die dann oft im Gefängnis mitaufwachsen und damit natürlich nur ein sehr eingeschränktes Umfeld haben und um deren Bildung sich der Staat nicht kümmert. Indira Ramagamar hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, Gefangene und deren Kinder zu unterstützen. Inzwischen leben 101 Kinder in dem Kinderheim am Rande Kathmandus, der Besuch bei den fröhlichen und neugierigen Kindern war einer der schönsten Termine in Nepal.
Das Frauengefängnis selbst, in dem Indira ebenfalls selbst unterstützt und berät, bestand u.a. aus einem offenen Außenbereich, Möglichkeiten zu kochen, waschen, nähen usw. Es gab keine Anstaltskleidung und die Stimmung wirkte recht friedlich. Aber die Chance, dass eine Gefangene hier im Gefängnis etwas lernt, um sich und ihre Familie später ohne Straftaten, wie z.B. Drogenhandel, durchzubringen, ist gering. Die Strafen erscheinen zum Teil auch als drakonisch hoch: Geldstrafen können „abgesessen“ werden, pro Tag sinkt die Strafe um 25 Rupien. Das heißt, bei einer Geldstrafe in Höhe von 1000 Rupien muss man 40 Tage ins Gefängnis. Und 1000 Rupien sind nur 10 €! Für zehn Euro also 40 Tage Gefängnis, ohne Rücksicht darauf, wie in der Zeit die Angehörigen zurechtkommen.
Einzelne Kinder kommen auch auf ganz anderen wegen zu Indira. Z.B. Waisen nach dem verheerenden Erdbeben im vergangenen Jahr, oder auch Kinder, die geboren wurden, weil Indira die jugendliche Mutter überzeugen konnte, das Kind nicht im siebten Monat noch abzutreiben, sondern noch einige Wochen lang auszutragen und dann nach der geplanten Kaiserschnittgeburt direkt an ihre Hilfsorganisation zu übergeben. Wenn wir in Deutschland über Abtreibungen und geplante Kaiserschnittgeburten reden, ist der Fokus oft ein anderer, und auch dafür war diese Reise nach Nepal wichtig. Mir ist wieder einmal bewusst geworden, dass Statistiken, die ein Thema länderübergreifend betrachten, oft völlig unterschiedlich Ausgangsprobleme beleuchten, die Lösung muss daher wirklich länderspezifisch erfolgen, die eigene Situation lässt sich nicht übertragen. Das Thema „Abtreibungen“ z.B. ist in Nepal ganz anders besetzt als bei uns.
Mehr über dieses preisgekrönte Projekt von Indira Ramaganar unter www.panepal.org.
Armutsbekämpfung – bei den Frauen fängt es an
Wo will man da in einem der ärmsten Länder der Welt anfangen? Langfristige Erfolge verspricht vor allem die Arbeit mit Frauen. Ein Projekt, das auf der Konferenz vorgestellt wurde, hat mich besonders fasziniert, weil es zeigte, wie schwierig es ist, erfolgreiche Basisarbeit zu machen.
Eine Frau aus Singapur, die ihren Mann in England kennenlernte, ging mit ihm in sein Heimatland Ghana, um dort eine Hühnerfarm zu gründen, weit weg von der Hauptstadt, auf dem Land, um dort die Versorgungslage mit Eiern zu verbessern. Das erste Problem ist eines, mit dem ich nie gerechnet hätte: Es gibt in Ghana zwar eine Menge Hühner, aber Küken, die sich für eine verlässliche Eierproduktion eignen, gibt es ganz einfach nicht. Also müssen die in Holland gekauft werden, für zwei Dollar das Stück. Diese Hühner mögen aber auch ghanesisches Futter nicht, also muss Futter aus Holland zugekauft werden.
Der Vertrieb der Eier ist ebenfalls nicht einfach: Am Anfang, bevor ein Laden errichtet werden konnte, wurden die Eier von Tür zu Tür gefahren, wo die Frauen für ihre Familie mal ein Ei, mal zwei oder drei kauften, je nachdem, wieviel Geld sie gerade für Eier ausgeben konnten. Einfacher wäre es gewesen, Eier an ein Hotel in der Hauptstadt zu verkaufen, aber das war ja gerade nicht das Ziel. Mit der Gründung des Ladens kamen dann die nächsten Probleme: eingestellt wurde eine alleinerziehende Mutter mit Kindern, aber wie können die Kinder betreut werden, wie kann der Schulbesuch ermöglicht werden, während die Mutter arbeitet? Wer ersetzt sie, wenn sie krank ist, und wie kann man die Bildung der eingestellten Mitarbeiterin verbessern? Angeboten werden mehrwöchige Fortbildungskurse in Accra, der Hauptstadt Ghanas, aber was geschieht in der Zeit mit den Kindern?
Für alles hat diese Frau aus Singapur Lösungen gefunden, und ihr Ziel ist es, eine jüngere Mitarbeiterin zur nächsten Weltfrauenkonferenz zu schicken, geplant in fünf Jahren irgendwo in Afrika. Damit sie dann erzählen kann von ihrem Lebensweg. Bei ihr wurde dieser Teufelskreis von Armut, mangelnder Bildung, keine berufliche Perspektive, durchbrochen. Und wir brauchen noch viele, viele solcher Einzelgeschichten, um die Stellung von Frauen weltweit zu verbessern.
Sexuelle Ausbeutung als gemeinsames Thema
Dass „Nein“ auch wirklich „Nein“ heißt, dass kein Mann eine Frau gegen ihren Willen sexuell belästigen darf, das ist in Deutschland durch die Ereignisse in Köln intensiv diskutiert worden. Für Millionen Frauen ist aber sexuelle Ausbeutung ein Thema, das direkt mit ihrer ganz normalen Lebenssituation verknüpft ist. Gewalt innerhalb der Familie, die von staatlichen Organisationen gar nicht geahndet wird, sexuelle Gewalt auf der Flucht, Prostitution auf der Flucht als einziger Ausweg, um weiterzukommen. Und das normalerweise ohne jede Chance auf Rückkehr in das eigene Dorf. Auf der Weltfrauenkonferenz wurde über dieses Thema deshalb intensiv diskutiert. Aber um Lösungen umsetzen zu können, brauchen wir weltweit immer noch ein viel stärkeres Bewusstsein bei Männern und Frauen, dass Frauen das Recht auf Selbstbestimmung haben, in das Männer niemals eingreifen dürfen. Weder in Kriegssituationen, im eigenen Haus, im eigenen Land oder im Ausland.
Hoffnung für die Frauen, Hoffnung für Nepal?
Ja, die Weltfrauenkonferenz hat für mich zwei Dinge deutlich gemacht: es gibt Hoffnung für eine positive Entwicklung Nepals, das Land auf dem Dach der Welt, denn seit einigen Jahren herrscht Frieden. Und mit diesem Frieden werden Kräfte frei, von denen vorher niemand etwas geahnt hat. Engagierte Frauen arbeiten für Frauen in Nepal, der Wille zur Veränderung ist sehr stark, und sie werden von der ersten Staatspräsidentin, die Nepal je hatte, unterstützt. Präsidentin Bidhya Devi Bhandari ist – wie viele der Frauen, die ich dort traf – klug, geduldig, ausdauernd und an Lösungen interessiert. Sie empfing etwa 60 Weltfrauenkonferenzteilnehmerinnen in ihrem Präsidentensitz, darunter auch mich.
Und ja, es besteht Hoffnung auf die Verbesserung der Lage der Frauen auf der Welt, weil sich viele in Netzwerken zusammenschließen, sich solidarisieren, gemeinsam ihre Ziele verfolgen, und das weltweit. Hier mag es noch manche Rückschläge geben, aber die Kraft der Frauen, die ich dort erlebt habe, ist enorm groß.
Und ja, es gibt Hoffnung, weil viele sich nach einer solchen Konferenz noch intensiver für ihre Projekte/ unsere gemeinsamen Ziele einsetzen. Auch Chiara, meine Reisebegleiterin, wird sich sicherlich in Zukunft noch intensiver dem Thema „Frauenpolitik“ widmen, Organisationen unterstützen, sich vielleicht auch beruflich für dieses Thema engagieren. Und mit dieser Motivation gingen wir Frauen auf der Weltfrauenkonferenz auseinander: Weitermachen – bis zum Wiedersehen in fünf Jahren irgendwo in Afrika.