Am 31.10. ist Schwester Lea, wie sie von allen genannt werden wollte, nach einer notwendigen Operation nicht mehr aus der Narkose aufgewacht. Mit ihr verliert die Frauenbewegung eine kraftvolle Stimme des Kampf um Gleichberechtigung, gegen Not und Elend, vor allem von Frauen. Sie war Ordensschwester und hat einen Teil ihres Lebens in Ruanda und im Kongo zugebracht. Die dort erlebte Armuts- und Elendsprostitution ließ sie die Organisation Solwodi (Solidarity with women in distress) gründen. Zurück in Deutschland baute sie diese Organisation zu einem weltweiten Netz auf, das Schutzhäuser für Zwangsprostitutierte betrieb und ihnen vielfach zu ihrem Recht verhalf.
Ihr wichtigstes Wort war „Empowerment“ – Frauen zu ermutigen, auszubilden, ihnen eine Perspektive geben, sie zu selbstbestimmten Menschen machen, die ein Leben in der Prostitution gar nicht nötig haben. Dem diente z.B. ein Projekt, bei dem kenianische Mädchen nach Deutschland eingeladen worden sind, um Fußballtrainerinnen zu werden. Womit sie sich in Kenia ein eigenes Leben aufbauen konnten.
Couragefrauen lernten Schwester Lea beim 12. Frauenpolitischen Ratschlag 2012 näher kennen. Dieser stand unter dem Motto: „Frauenpower-Marathon – Von Religion bis Revolution“ und Schwester Lea war gerne bereit, das erste von 12 Referaten für die Religion zu halten. Es blieb dem Verfassungsschutz nicht verborgen, dass Sr Lea sich in Ludwigsburg mit Marxistinnen-Leninistinnen gemeinsam beteiligen wollte und – so vermuten wir – erhielt sie aus diesen Kreisen einen Warnanruf. Aber Sr. Lea setzte sich über solcherlei antikommunistisch motivierte Warnungen hinweg, berichtete uns von dem ominösen Anruf und beteiligte sich intensiv am Ratschlag. Es erschien ihr anfangs unmöglich, ihr reichhaltiges Leben und ihre Erfahrungen in nur 15 Minuten und der anschließenden kurzen Diskussion darzustellen. Am Schluss war sie begeistert, weil so alle Frauen gleichwertig ihre Positionen und ihre Kämpfe darstellen konnten. Gleichberechtigung drückt sich eben auch da in einer Gleichbehandlung aller aus. Das betonte sie uns gegenüber bei einer anderen Konferenz, auf der prominente Frauen lange Redebeiträge hielten und weniger Bekannte keine Redezeit mehr bekamen.
In ihrem Referat 2012 begründete sie ihr Engagement besonders für die Frauen, die zwangsweise in der Prostitution landen aus ihrer Geschichte als Ordensfrau. Sie wollte den christlichen Glauben nicht so leben, wie sie es in ihrer Heimatgemeinde im Saarland erlebte. Es hat sie aufgeregt, dass man sagte: „Die gehen jeden Sunndag in de Kerch und die sind genau net annersch wie die anneren.“
Sie legte das Gelübde ab, arm zu leben und resümierte für sich: „Ich habe versprochen, arm zu leben, weil es mich aufregt, dass der Reichtum dieser Welt so ungleich verteilt ist. Er soll nicht nur einigen wenigen gehören. Es ist so lächerlich, dieses Geld zu raffen und immer mehr zu raffen.“ (von religion bis revolution – frauenpower marathon auf dem 10. Frauenpolitischen Ratschlag 2012 in Ludwigsburg, S. 37)
Bei der Teilnahme an der 3. Weltfrauenkonferenz der UNO in Nairobi war für sie ein Schlüsselerlebnis die Forderung: die Hälfte des Himmels den Frauen. „Da hatte niemand etwas dagegen. Die Hälfte der Erde den Frauen – das war schon viel schwieriger. In Kenia durften Frauen nicht einmal Land erben.“ (ebenda) Und dort erlebte sie, dass vor allem Frauen und Kinder unter elenden Lebensbedingungen litten – und engagierte sich mit aller ihr zur Verfügung stehenden Kraft für Frauen und Mädchen in der Prostitution.
In der Diskussion auf dem Ratschlag antwortete sie auf die Frage, warum sie kein Ornat trage, ganz selbstverständlich: „Von Männern habe ich mir noch nie vorschreiben lassen, was ich anzuziehen habe.“
Auch beim nächsten Frauenpolitischen Ratschlag in Chemnitz 2015 war Sr. Lea gerne bereit, ihr Thema zu vertreten. Die Teilnahme an der Weltfrauenkonferenz in Kathmandu blieb ihr verwehrt, weil zu diesem Zeitpunkt ihr langjähriger Lebenspartner, Pater Köster, schwer erkrankt war. Mit ihm organisierte Sr. Lea für zwei Kinder von Prostituierten eine Familie, davon zeugen zahlreiche Bücher, z.B. „Lea Ackermann und Fritz Köster, Über Gott und die Welt. Gespräche am Küchentisch“.
Über viele Jahre verband uns mit Sr. Lea eine gewachsene Freundschaft. Sie informierte uns 2014 darüber, dass in Rheinland-Pfalz betroffene Frauen gefragt wurden, ob sie im Frauenverband Courage organisiert sind. Man würde ihnen das Asylrecht verweigern. Solcherlei Machenschaften von Geheimdiensten ärgerten Sr. Lea, schätzte sie doch die Arbeit von Courage sehr. Als Courage 2020 die Gemeinnützigkeit zurück erkämpfte, gehörte Schwester Lea zu den ersten Gratulantinnen. Zu den Weltfrauenkonferenzen schrieb sie Grußworte, nach Tunis 2023 konnte sie aus Krankheitsgründen nicht mehr reisen.
Der Frauenverband Courage, der Frauenpolitische Ratschlag und die Weltfrauenbewegung der Basisfrauen verliert mit Sr. Lea eine Freundin, die Frauenbewegung eine kämpferische, weltweit bekannte und unbeugsame Mitstreiterin. Ihr Lebenswerk für die Gleichberechtigung von Frauen wird unauslöschlich sein. Er wird fortgeführt werden.
Für den Frauenverband Courage:
Birgit Schuttenberg und Brigitte Ziegler
Für den Kämpferischen Frauenrat und den Frauenpolitischen Ratschlag:
Anne Wilhelm
Für die Europakoordinatorinnen der Weltfrauenkonferenz:
Karola Kücken und Suse Bader / Deutschland