Europakoordinatorin
Suse Bader
Germany
„Erzählt aller Welt was ihr gesehen und gehört habt! Wir haben nur Angst unsere Freiheit zu verlieren!“
Unsere Solidarität ist die Stimme unserer kurdischen Schwestern überall auf der Welt!
Meine erste Reise als Europakoordinatorin führte mich nach Diyarbakir/Türkei/Nordkurdistan. Die Frauendachorganisation KJA (Free Women’s Congress) hatte zu einem außerordentlichen Kongress am 20.11.16 eingeladen.
Gerne beschloss die 1. Europakonferenz nach der 2. Weltfrauenkonferenz eine Solidaritätsdelegation. Bereits im Juni 2016 war ebenfalls eine Delegation der Weltfrauen auf Beschluss der 2. Weltfrauenkonferenz nach Diyarbakir gereist. Ihr Reisebericht ist eindrucksvoller Ausdruck der staatlichen Gewalt mittels Militär und Polizei gegen die kurdische Bevölkerung. Schon damals wurden Wohnhäuser systematisch zerstört, die Menschen vertrieben, entrechtet, und teilweise krank und mittellos immer weiter verjagt.
Kurz vor Abreise unserer Solidaritätsdelegation hatte die faschistische Erdogan Regierung 370 Organisationen für 3 Monate verboten, ihre Büros gestürmt, Daten, Mitgliederlisten etc. mitgenommen. Sofort hatten Weltfrauen ihre Solidarität ausgedrückt. Nun gab es also eine Gelegenheit, mit eigenen Augen zu sehen, was sich in diesem Land abspielt.
Unsere Delegation, bestehend aus zwei Frauen und zwei Männer aus Deutschland, Vertreterinnen des Weltfrauenprozesses, ICOR-Vertretung und Übersetzer, fand an der Grenze zur Türkei, exakt vor dem Passkontrollschalter in Istanbul, ein jähes Ende – zwei Delegationsmitgliedern wurde die Einreise verweigert! Sie wurden postwendend in ein Flugzeug zurück nach Deutschland abgeschoben! Ihre Info erreicht uns nur noch per Handy! Willkommen in der Türkei! Zu zweit flogen wir weiter nach Diyarbakir, einer hauptsächlich von Kurden bewohnten Millionenstadt im Osten des Landes. Hier wurden wir von unseren kurdischen Freundinnen herzlich willkommen geheißen! Sie berichteten uns, dass inzwischen auch der Kongress verboten wurde. Ständig finden neue Verhaftungen statt bzw. müssen sie damit rechnen. Wir fahren mit dem PKW zum Hotel, überall gepanzerte Polizeifahrzeuge, alle öffentlichen Gebäude sind hermetisch durch Zäune und Mauern abgeriegelt und mit bewaffneten Checkpoints versperrt. Wer hinein will, oder dort arbeitet, braucht einen Ausweis. Selbst um in Parks zu kommen, muss man durch Absperrungen. Wir sehen zerstörte und einsturzgefährdete Häuser in denen Menschen wohnen – ein Ergebnis der Blockade und systematischen Bombardierung einzelner Stadtteile. Unsere Freundinnen berichten, dass es in der Altstadt/ Sur noch viel schlimmer aussieht – das sehen wir einige Tage später! Hier gab es eine 7-wöchige Blockade, Kampfjets griffen die kurdische Bevölkerung aus der Luft, Panzer und Maschinengewehrfeuer am Boden an. Sie zerstörten das Zentrum, Wohnhäuser, Moscheen. Die Polizei hindert die Menschen daran, zurück zu gehen, sie dürfen weder Hab noch Gut holen, sie werden mit Gewalt vertrieben. Inzwischen sind alle Zugänge zum Zentrum in Sur durch Betonblöcke versperrt. Das ist das eigentliche Ziel Erdogans „die Vernichtung bis auf den letzten Kurden“! Es ist blanker Zynismus und Demagogie wenn vielerorts und insbesondere an den öffentlichen, durch türkische Polizei kontrollierten Gebäuden, Plakate der AKP hängen, zum Tag gegen Gewalt an Frauen!
Doch zurück zum Kongress! In unserem Hotel trafen wir weitere internationale Gastfrauen. Julie Wards, EU-Parlamentarierin der Labour Party, eine Vertreterin für „peace in Kurdistan“ beide aus Großbritannien. Eine junge Abgeordnete des baskischen Parlaments, eine Abgeordnete der Sinn Fein vom nordirischen Parlament, sowie eine Vertreterin der „women in black“ aus Belgrad! Wir alle waren eingeladen, um Beobachterinnen und Botschafterinnen zu sein: „Was im Mittleren Osten stattfindet, betrifft die ganze Welt. Deshalb haben wir alle Freunde gerufen, was wir in Zukunft tun sollen, wie wir stärker zusammen arbeiten können, unsere Politik entfalten.“ (aus der Eröffnungsrede)
Als wir vor dem Gebäude der Versammlungshalle ankamen, war das Gebäude von Polizisten und gepanzerten Fahrzeugen umringt. Wir konnten aber ungehindert hineingehen. Die Kurden selbst kontrollierten jeden Besucher auf Waffen, Spitzel sind in diesen Zeiten normal! Wir werden in einen großen Saal geführt, der sich nach und nach füllt. Die Stimmung ist kämpferisch, lebensfroh, nicht euphorisch, eher ruhig, aber die Frauen freuen sich, wenn ein Wiedersehen in diesen schweren Zeiten zustande kommt. Zeiten, in denen so viele in Haft, verschwunden oder tot sind. 700 Frauen waren trotz aller Schikane der Einladung gefolgt, sie waren aus den kurdischen Gebieten und der Westtürkei gekommen. Meist sind es Vertreterinnen großer Organisationen wie „mother of peace“, „Rojavahilfe“, usw. und Einzelpersonen, Führerinnen der kurdischen Frauenbewegung.
Die folgenden Stunden dieses Meetings sind geprägt von einer ungeheuren Intensität. In Zeiten, wo, wie eine Kurdin sagte: „Der Faschismus (wird) von Tag zu Tag, Stunde zu Stunde schlimmer! Aber wir leisten Widerstand, lassen uns nicht demoralisieren. Vor den Augen der Welt und Europa findet diese Entwicklung statt.“ Die Frauen eröffnen mit ihrem traditionellen Tanz, ihrer Musik! Sie gedenken derer, die gefangen oder ermordet sind. Die Einleitungsrede führt das Ziel des Meetings aus – Beratung und Beschlussfassung zum weiteren Vorgehen nach dem Verbot der Organisationen. „Wir müssen über unsere Zukunft sprechen!“
Zuerst werden alle Gäste auf die Bühne geholt und vorgestellt – zuerst die internationalen, dann die türkischen Gastfrauen. Wir füllen die Breite der Bühne, sicher sind wir 30 Vertreterinnen! Alle internationalen Gäste sprechen ein Grußwort. Alle werden mit ehrlichem Beifall bedacht. Sind wir doch die Augen und Ohren hinaus in die Länder! In die Welt! So war es mir eine besondere Ehre, die Grüße der Weltfrauen aus 20 Ländern und von 4 Kontinenten zu überbringen! Wie wertvoll die Zusammenarbeit zur gegenseitigen Unterstützung im Weltfrauenprozess ist, damit keine von uns allein gelassen wird. Später treffe ich Özlem Yasak/Koordinatorin des Mittleren Osten, welch eine Freude! Bedeutend auch die Worte von Fatma zu mir: „die kurdische Frauenbewegung hat viel Unterstützung bekommen, besonders aus Europa und sie will solidarisch sein. Ich bin zufrieden (mit dem Meeting) , besonders, dass die internationalen Gastfrauen dabei waren und davon berichten können und dass so viele Vertreterinnen aus der Westtürkei kamen und ihre Solidarität ausdrückten. Das ist wichtig gegen die Isolierung durch die Türkei.“
Es sprechen viele Frauen und überbringen dem Meeting von der Basis ihrer Organisationen die Entschlossenheit, den Kampf weiter zu führen. „wenn Eine gefangen genommen wird, rückt die Andere nach!“ Am Rande finden viele Gespräche statt, werden Interviews gemacht, viele Frauen kommen und danken für die Teilnahme an ihrem Meeting. Es wird getanzt und gelacht, fotografiert. Dann die Schlussdebatte, und die Abstimmung – wir erleben die Geburtsstunde der Bewegung „Tevgera Jinen Azad“ – „free womens movement“. Ein wunderschönes kurdisches Lied beendet das Meeting und schlagartig leert sich der Saal. Vor dem Gebäude stehen PKW’s zur Abholung der Frauen bereit. Die Polizei lässt uns gehen.
Wir beenden diesen denkwürdigen Tag mit unseren kurdischen Freundinnen bei einem wunderbaren Essen, heißen Diskussionen und verabschieden uns mit dem Vermächtnis, die Wahrheit in unsere Länder zu tragen.