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Im neuen Solwodi-Rundbrief Nr. 94 vom Dezember 2012 findet sich nachfolgender spannender Artikel:  – Frau sein in … Ägypten – Von Ibtisam Fawzy

Überall auf der Welt wagen immer mehr Frauen den Spagat zwischen Beruf und Familie. Manche wollen einen Beruf ausüben, um ihren Traum zu leben, selbstständig zu sein – andere müssen arbeiten, weil die Familie jeden Pfennig braucht. In Ägypten, meiner Heimat, tragen laut offizieller Statistik 35 Prozent der Frauen die ganze finanzielle Verantwortung für ihre Familien. Jede dieser Frauen steht unter ungeheurem Druck: Familie, Kinder, Hausarbeit dürfen keinesfalls leiden – im Gegenteil: Alles muss perfekt sein. Als wäre das nicht schon genug, kommt in meiner Heimat aber noch etwas anderes dazu, unter dem gerade Frauen leiden, die viel unterwegs sind – etwa um den Beruf auszuüben und die Familie zu versorgen, nämlich sexuelle Belästigung.

Quelle: http://www.solwodi.de

Sexuelle Belästigung ist bei uns allgegenwärtig: Körperlich, durch Worte oder auch durch verletzende Blicke, ohne jeden Respekt. Laut einer Umfrage des ägyptischen Zentrums für Frauenrechte im Jahr 2008 sind 83% der Frauen Opfer dieser Form von Erniedrigung geworden.

In Kairo geboren und aufgewachsen weiß ich, wovon ich spreche: Schon als Mädchen habe ich die wichtigste Regel gelernt: Menschenmengen meiden! Im Alltag heißt das: Kein voller Bus, keine belebte Einkaufszone, keine öffentlichen Versammlungen. Doch im Januar 2011 geschah das Wunder, auf dem Tahrir Platz – ich habe es selbst erlebt: Die Frauen standen in der ersten Reihe mit den Männern, riefen zum Rücktritt des Präsidenten auf, der das Land rund 30 Jahre autoritär regiert hatte.

In den ersten Tagen der Demonstrationen führte mich die Neugier zum Platz, der in der Nähe meiner Arbeit liegt, ich bin Journalistin. Die Gesichter der Menschen leuchteten, ihre Stimmen waren voller Hoffnung, in den Augen Entschlossenheit und Stolz. Schon nach wenigen Minuten wusste ich: Hier brauche ich keine Angst vor Belästigung zu haben.

Und tatsächlich: Es wurde nicht ein Fall sexueller Belästigung während der Demonstrationen bekannt. Wir waren gleichberechtigt wie noch nie, endlich. Dabei forderten die Frauen nicht nur den Wandel, sie versorgten Verletzte, organisierten den Zugang zum Platz, nahmen an Aktionen und Kampagnen teil. Endlich schienen wir am Ziel – ein historischer Moment. Ich traf viele Mütter mit ihren Töchtern, die Gesichter mit den Farben der nationalen Flagge geschminkt. „Ich habe meine vierjährige Tochter mitgebracht“, so eine Mutter, „hier wird Geschichte geschrieben!“

Doch unser Wunder dauerte nicht lange. In den folgenden Monaten während des politischen Wandels mussten die Frauen viele brutale Übergriffe ertragen. Zum Beispiel Samira Ibrahim, eine zierliche, 25-jährige Frau aus dem Süden des Landes. Sie trägt einen langen Rock, Bluse, Pullover, ein Kopftuch – eine moderne ägyptische Frau. Genau so stand sie auf dem Tahrir Platz und tat, wovon sie schon so lange träumte: Kämpfen für ein Land, wo die Menschen für sich selbst entscheiden können. Doch drei Monate später, während sie an einem politischen Protest teilnahm, wurde ihr schmerzlich bewusst, dass die alte „Ordnung“ sich nicht so leicht geschlagen gibt: Die Armee verhaftete sie und nahm sie mit in ein Militärgefängnis.

 

„Eine Frau führte mich zu einem Zimmer“, erzählt Samira. „Ich dachte es geht um eine normale Untersuchung und bat sie darum, die Tür und Fenster des Zimmers zu schließen. Eine Gruppe von Soldaten stand gleich vor der Tür und schaute mich an. Die Frau lehnte ab. Später befahl sie mir, mich auszuziehen und auf ein Bett zu legen, damit der Arzt mich untersuchen könne. Er wollte feststellen, ob ich noch Jungfrau bin. In diesem Moment habe ich mir den Tod gewünscht – eine solche Demütigung war für mich unvorstellbar.“

Samira ist sicher, dass es sich hier um eine gut geplante Aktion handelte mit dem Ziel, Frauen vom Protestieren abzuhalten. „Der Wille der Frauen sollte gebrochen werden“, sagt die 25-jährige. Ein Akt der Erniedrigung, der sie und alle Gleichgesinnten einschüchtern sollte.

Doch Samira Ibrahim hat sich entschlossen zu kämpfen. Sie ist gegen das Militär vor Gericht gezogen, hat den Prozess verloren, nicht aber ihren Mut. Das steckt uns alle an: Immer wieder tauchen mutige Frauen auf, die laut über die Erniedrigungen im Alltag sprechen, so lange ein Tabu-Thema. Jetzt arbeiten wir Ägypterinnen weiter daran, die Wertschätzung zu erhalten, die unser würdig ist. Unser Kampf geht weiter. Wir haben den arabischen Frühling mitgestaltet – jetzt wollen wir auch den Sommer sehen!

Frau sein in Ägypten